765 Molecular Modelling Molecular Modelling-Studien zur Hormonbindungsstelle des Estrogen-Rezeptors* Hans-Dieter Holtje Institut fur Pharmazie der Freien Universitat Berlin, Konigin-Luise-Str. 274, D-14195 Berlin Mit Hilfe von Molecular Modelling-Verfahren wurden die Struktureigenschaften von Liganden rnit hoher Affinitat zum Estrogen-Rezeptor untersucht. Zur Bestimmung der biologisch aktiven Konformationen und Orientierungen innerhalb der Hormonbindungsstelle wurde eine vergleichende Einleitung In letzter Zeit werden immer haufiger AminosauresequenZen von Enzymen und Rezeptoren aufgeklart. Leider ist damit nur indirekt eine Information iiber die dreidimensionale Gestalt des Proteins gefunden. Von besonderem therapeutischen Interesse ist nur die Kenntnis der Geometrie der jeweiligen reaktiven Zentren. Ein moglicher Weg zu Modellen von Arzneistoff-Bindungsstellenfuhrt iiber Vergleichsstudien rnit funktionshomologen und durch Rontgenstrukturanalyse strukturbekannten Proteinen. Die von Holtje und Dall kiirzlich beschriebene Untersuchung der Hormonbindungsstelle des Estrogen-Rezeptors') ist ein Beispiel fur diese Vorgehensweise. Die Sequenz des Estrogen-Rezeptors ist bekannt, es gibt jedoch keine Informationen uber die Struktur des Proteins. Durch die Kombination von Pharmakophorbestimmung und 3D-Proteinmodellierung auf der Grundlage einer Sequenzanalyse konnte trotz bisher unbekannter Proteinstruktur ein dreidimensionales Model1 der Hormonbindungsstelle entwickelt werden. Studie auf der Basis von Molekulvolumina und molekularen Interaktionsfeldern durchgefiihrt. Der daraus abgeleitete Pharmakophor stellt die Grundlage fur ein Aminosaure-Modell der Hormonbindungsstelle dar, rnit dem einige experimentelle Daten e r k k t werden konnen. Tab. 1: Strukturen hochaffiner Liganden des Estrogen-Rezeptors. Die Berechnungen von 25 und 26 wurden mit einer Hydroxylgruppe anstelle der Seitenkette durchgefuhrt. Methoden In die Pharmakophorsuche wurden strukturell unterschiedliche, hochaffine Strukturen einbezogen (Tab. 1): Estradiol (21), Indenestrol-A (22), Diethylstilbestrol (23), Hexestrol (24), 4-Hydroxy- tamoxifen (25), Desmethylnafoxidin (26) und ein Dihydroxy-triphenyl-acrylonitril (27)'-@.Das abgeleitete Pharmakophormodell sollte daher Ruckschlusse uber Struktur und Eigenschaften der Hormonbindungsstelle zulassen. Weiterhin wurde die Aminosauresequenz der Hormonbindungsdomane analysiert. Durch Sequenzvergleiche mit anderen Steroidrezeptoren und steroidbindenden Proteinen sollten potentielle Frag- *) Plenarvortrag anlU31ich der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft vom 22. - 25. September 1993 in Saarbriicken. Arch. Pharm. (Weinheim) 326, 765-768 (1993) L O-H 27 mente der Hormonbindungsstelle identifiziert werden. Zusammenfassend wurde schlieBlich ein Rezeptormodell erstellt, welches mit experimentellen Daten korrespondieren soll. Zu erwahnen sind hier vor allem Identifizierungen 0VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6945 1 Weinheim, 19930365-6233/93/1010-0765 $5.00 + .25/0 766 Holtje von Aminosauren der Hormonbindungsdomane mittels kovalent bindender radioaktiv markierter Liganden (affinity labeling). Ergebnisse und Diskussion Zur Konstruktion des Pharmakophormodells wurden die potentiell biologisch aktiven Wirkkonformationen ermittelt und auf strukturelle Gemeinsamkeiten untersucht. Um die Wirkkonformationen zu ermitteln, wurde eine systematische Konformationsanalyse durchgefiihrt. In einem erstem Schritt wurden die konformatorisch eingeschrankten Verbindungen 22 und 25 untersucht. Die lokalen Minima-Konfomationen mit den besten Uberlagerungen zum Estradiol wurden als biologisch aktive Wirkkonformationen postuliert. AnschlieBend wurden die flexibleren Molekule nach analogen energetisch giinstigen Konformationen untersucht. Um sterische Gemeinsamkeiten der potentiellen Wirkkonformationen zu analysieren, wurden ihre RMS-Ebenen berechnet und dargestellt. Alle Liganden konnen sich annahemd in der Ebene von Estradiol orientieren (Abb. 1). Abb. 1: Uberlagerung der potentiellen Wirkkonfoimationen in der Molekulebene von Estrddiol. Die Abstande der einzelnen Atome zu der Eberie sind ebenfalls vergleichbar. Da Van der Waals-Interaktionen fur die Bindungsaffinitaten eine entscheidende Rolle spielen [7], wurden Wechselwirkungsfelder mit einer hydrophoben Probe (Methylgruppe) berechnet. D a m diente das Prograinm GRID. Die energetisch gunstigsten Interaktionsbereiche wurden als Isokonturlinien visualisiert. Sie befinden sich ausnahmslos oberhalb und unterhalb der A/B-Region von Estradiol (Abb. 2). Abb. 2 Ergebnis der GRID-Berechnung. (Die schwarzen Pfeile markeren stake, die grauen Pfeile schwachere Dispenions-Wechselwirkungen.) In einem nachsten Schritt wurde, ausgehend von der Primarsequenz des Estrogen-Rezeptors, ein Aminosauremodel1 der Hormonbindungsstelle erstellt. Durch Sequenzvergleich der Hormonbindungsdomanen (HBD) aller Steroidrezeptoren wurde ein besonders homologer Bereich zwischen Trp 360 und Ser 395 lokalisiert (Positionen 60 und 100 bezogen auf die HBD). Von 36 Arninosaurepositionen sind 12 Positionen identisch. In diesem Bereich ist ein Sequenzabschnitt lokalisiert, der homolog ist zu entsprechenden Sequenzabschnitten anderer steroidbindender Proteine (Tab. 2). Dieser Abschnitt wird nachfolgend als Tab. 2: Sequenz I Hoinologien zwischen Steroidrezeptoren und Steroid-bindenden Proteinen. (Die Aminosauren, die vermutlich an der Bindung von Liganden beteiligt sind, sind eingekreist. Das mit einem Dreieck umrahmte Methioniii im Glukokortikoid-Rezeptor wurde photoaffinitatsmarkiert.) Protein name Amino acid sequence alignment I h-Estrogen Receptor 379 L@C I L M 388 h-Progesteron Receptor 752 I 0 Y S W M S L M V 761 h-Androgen Receptor h-Glucocorticoid Receptor 739 I O O S W M G L M V 748 597 L 0 Y S W M F L A 606 h-Mineralocorticoid 803 Receptor I 0 Y S W M C L S S 812 h-NJlf-ATPase 306 L E Y T W L E A V I 315 SteroidDehydrogenase 341 P L Y T W E E A K O 350 A@L E Sequenz I bezeichnet. Besonderes Merkmal von Sequenz 1 ist ein konservatives Tryptophan (Trp 383). Tryptophan besitzt unter den physiologischen Aminosauren die groljte hydrophobe Oberflache. Das hydrophobe Steroidgeriist von Estradiol sollte besonders gunstige Wechselwirkungen zu Trp 383 eingehen konnen. Die Grundgeruste der anderen Steroide sind ebenfalls hydrophob. Sie sollten daher vergleichbar hohe Affinitlten zu dem konservativen Tryptophan aufweisen. Drei Positionen vor dem konservativen Tryptophan besitzt der Estrogen-Rezeptor eine Glutaminsaure (Glu 380). Deren Carboxylgruppe ware ein optimaler Bindungspartner der phenolischen Hydroxylgruppe. Die anderen Steroide besitzen in 3-Position anstelle der Hydroxyl- eine Carbonylgruppe. Diese Carbonylgruppe wurde von der Carboxylgruppe abgestoBen. In der Tat binden Keto-Steroide kaum an den Estrogen-Rezeptor. Glutaminsaure 380 ist in diesen Steroidrezeptoren gegen ein Glutamin ausgetauscht, dessen Saureamid-Funktion als Wasserstoffbrucken-Donator niit den Carbonylgruppen wechselwirken kann. Das Glutamin ist in den Rezeptoren der Keto-Steroide konservativ. Moglicherweise ist das ein Grund fur deren ausgepragte Kreuzaffinitaten. Die Analyse der HBD fuhrte zu einem potentiellen Bestandteil der Bindungsstelle. Zwei Aminosauren, Trp Arch Pharm (Weinhelm)326 765-768 (1993) 767 Molecular Modelling 383 und Glu 380, sind moglicherweise an der Ligandenbindung beteiligt. Die hohe Rezeptoraffinitat von Estradiol ist jedoch nicht durch Wechselwirkungen rnit lediglich zwei Aminosauren zu erklaren. Weitere Aminosauren mussen in die Bindung von Liganden involviert sein. In diesem Zusammenhang ist eine Untersuchung von Picado-Leonard und Miller iiber steroidbindende Cytochrome aufschlul3reich*). P450-Cl7 (17a-Hydroxylase) und P450-C21 (21 Hydroxylase) sind insgesamt zu lediglich 28% identisch. Ein bestimmter 21 Aminosauren langer Sequenzabschnitt hingegen enthalt 17 identische Positionen. Charakteristisches Merkmal dieses Bereiches ist ein ausgepragt hydrophobes Tetrapeptid-Fragment aus vorwiegend aliphatischen Aminosauren. Steroidrezeptoren weisen einen analogen Bereich auf (Tab. 3 ) , der nachfolgend als Sequenz I1 bezeichnet wird. Dieser Bereich ist durch eine variierende Aminosaure von einem konservativen Lysin getrennt. Tab. 3: Sequenz I1 Homologien zwischen Steroidrezeptoren und Steroidbindenden Cytochromen. (Die potentiell bindungsrelevanten Aminosauren im Estrogen-Rezeptor sind eingekreist. Das affinitatsmarkierte Histidin im SHBG ist durch ein Dreieck rnarkiert.) Protein name Uteroglobin ist ein Progesteron-bindendes Protein, das als Dimer vorliegt. Jedes Monomer besteht aus 70 Aminosauren, die in vier a-Helices auffalten. Zwischen den Helices befinden sich Loops unterschiedlicher Liinge. Zwei Disulfid-Brucken verbinden die Monomere. Die Kristallstruktur 11) wurde mit einer Auflosung von 1,64 A aufgeklart. Mit Hilfe von SUKO wurden die Multialignments der beiden Sequenzabschnitte I und I1 aller Steroidrezeptoren rnit der Uteroglobin-Sequenz verglichen. Uberraschenderweise ordnete das Programm jedem der beiden Bereiche den gleichen Sequenzabschnitt zu. Er entspricht exakt der ersten Helix des Uteroglobin-Monomers. Daraufhin wurden die beiden Sequenzabschnitte als Helix modelliert und ein Wechselwirkungskomplex zwischen den Helices und Estradiol gebildet. AnschlieBend wurden Helix 1A und 1B des Uteroglobins mit dem Wechselwirkungsmodell uberlagert. Das Ergebnis ist in Abb. 3 zu sehen. Man erkennt eine gute Ubereinstimmung bezogen auf die Orientierung der Helices zueinander. Amino acid sequence alignment h-Progesteron Receptor 830 C M K V L L L L N T 839 h-Glucocorticoid Receptor 665 C M K T L L L L S S 674 h-Androgen Receptor 807 C M K A L L L F S I 816 h-Mineralocort. Receptor P450-C17 871 I M K V L L L L S T 880 346 D R N R L L L L E A 355 P450-C21 338 D R A R L P L L N A 347 SHBG 231 G S G A L L A L G T 240 Markierungsexperimente mit 17a-organometallisch substituierten Estradiol-Derivaten fuhrten zu der Annahme, daI3 ein Lysin in der Bindungsstelle des Estrogen-Rezeptors lokalisiert ist9). Die genaue Sequenznummer ist jedoch nicht bestimmt worden. Es konnte sich naturlich auch um Lys 449 des humanen Estrogen-Rezeptors handeln. Dies ist ein erster Hinweis auf die mogliche Beteiligung dieses Sequenzabschnittes, der nachfolgend als Sequenz I1 bezeichnet wird, am Bindungsgeschehen im HBD-Bereich. Auch ein Sequenzabschnitt im Sexualhormonbindenden Globulin (SHBG), der auf eine affinitatsmarkierte Aminosaure (Histidin 235) folgt, ist zu diesem Abschnitt homolog. Urn die Sekundarstrukturen zu bestimmen, wurden die beiden Sequenzabschnitte rnit Uteroglobin, einem steroidbindenden Protein rnit bekannter Kristallstruktur, verglichen. Der Sequenzvergleich wurde rnit SUKO") durchgefiihrt (SUche nach KOnservativen Sequenzregionen). Das Programm ordnet einem Multialignment die entsprechend konservative Sequenzregion eines Vergleichsproteins zu. Arch. Pharm (Weinheim)326,765-768 (1993) Abb. 3: Uberlagerung des Bindungsstellenmodells (schwarze Ribbons) mit den entsprechenden Helices im Uteroglobin (graue Ribbons). Ein Rezeptormodell, das nur fur eine Verbindung gilt, besitzt keine groBe Aussagekraft. So wie das Pharmakophormodell gemeinsame Strukturelemente hochaffiner Liganden beschreibt, sollte das Rezeptormodell analoge Wechselwirkungsenergien liefern. DemgemaB wurde das Rezeptormodell auf die in das Phannakophormodell einbezogenen Liganden ubertragen. Rezeptor- und Pharmakophormodell sollten sich erganzen. Daher wurden die Liganden in ihrer pharmakophoren Orientierung und Konformation zunachst in die Bindungsstelle eingepaljt. Die Position der helikalen Geriiste blieb dabei unverandert. Aufgrund 768 der dichten Packung zwischen den Helices traten zunachst abstoRende Van der Waals Kontakte zwischen den Liganden und einigen Aminosaureseitenketten auf. Diese konnten durch Rotation um Einfachbindungen der betreffenden Seitenketten problemlos beseitigt werden. Mit Hilfe der interaktiven DOCK-Routine wurde eine energetisch gunstige Orientierung der Liganden zwischen den Helices eingestellt und mit MAXIMIN optimiert. Anschlieljend wurden die an der Bindung beteiligten Seitenketten sowie die Hydroxylgruppen der Liganden molekuldynamisch optimiert. Erfreulicherweise liefern alle hochaffine Liganden Wechselwirkungsenergien, die der von Estradiol mit dem Rezeptormodell entsprechen. Dies kann als Unterstutzung fur das Model1 angesehen werden. Literatur I 2 Holtje A. B. Foster, M. Jarman, 0.-T., Leung, R. McCague, G. Leclercq, N. Devleeschouwer, J . Med. Chem. 1985,28, 1491-1497. G. M. Anstead, S. R. Wilson, .I.A. Katzenellenbogen, .I. Med. Chem. 1989,32,2163-2171. M. Pons, F. B. Michel, A. Crastes de Paulet, J. Gilbert, J. F. Miquel, G. Precigoux, M. Hospital, T. Ojasoo, J. P. Raynaud, J . Steroid Biochem. 1984,20, 137-145. J . A. Katzenellenbogen, B. S. Katzenellenbogen, T. Tatee, D. W. Robertson, S. W. Landvatter, Estrogens in the Environment (Ed: J. McLachlan), Elsevier, Amsterdam, 1980, p. 33-50. F. J. Zeelen, E. W Bergink, Cyfotoxic Estrogens in Hormone Receprive Tumors, (Eds: J. Raus, H. Martens, G. Leclerq), Academic Press London, 1980, p. 39-46. W. L Miller, Mol. Endocrinol. 1988,2, 1145-1150. I. S. Butler, A. 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